Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in Beratung und Coaching eröffnet spannende Möglichkeiten. KI ist längst kein Hype mehr, sondern Teil unserer Gegenwart, die die Zukunft massgeblich definieren wird. Wer sich dieser Entwicklung nicht öffnet, wird es nicht leicht haben, anschlussfähig zu bleiben. Nicht nur deshalb ist es für Berater:innen und Coaches unerlässlich, sich mit dem Thema der generativen KI auseinanderzusetzen. Es geht dabei nicht nur um Methoden und Anwendungen, sondern auch um neue Themen und Anlässe, die durch den Einsatz von generativer KI zu neuen Angeboten führen werden. Durch die Auseinandersetzung mit KI werden nicht nur Berührungsängste und Unsicherheiten im Umgang abgebaut, sondern auch die Zukunftsfähigkeit gestärkt. Mehr denn je werden die kognitiven Fähigkeiten gefordert.
Generative KI – klug und erfinderisch
Wenn in diesem Beitrag von KI die Rede ist, ist stets die generative KI gemeint. Generative KI ist eine Technologie, die mithilfe von maschinellem Lernen und neuronalen Netzen neue Inhalte erzeugt, anstatt nur bestehende Daten zu analysieren. Sie lernt Muster aus der Analyse von grossen Datenmengen und kann auf dieser Basis kreative und komplexe Inhalte generieren, zum Beispiel eigene Lösungen und Ideen für Texte, Bilder (so auch das Coverbild dieses Artikels, das mit dem KI-Tool «Midjourney» erstellt wurde) und Musik.
Mit generativer KI wie zum Beispiel Chatbots können wir brainstormen und Gespräche führen. Nach der Unterhaltung können wir Impulse für unsere nächsten Schritte erhalten. Wir können mit KI sogar unseren eigenen Zwilling erschaffen oder eigene Anwendungen (wie zum Beispiel GPTs) erstellen, ohne programmieren zu können. Das alles ist bereits möglich, auch wenn die KI weder den Inhalt noch dessen Bedeutung versteht. Es ist daher immer notwendig, die Inhalte auf Fakten zu prüfen, denn die KI kann halluzinieren und Fakten oder Zusammenhänge wild erfinden.
Die Entwicklung der KI geht rasant. Was heute ein Limit ist, wird morgen zum Ausgangspunkt. Mit dieser Tatsache umgehen zu können, ist – nebenbei gesagt – ein Training zweier Zukunftskompetenzen: Ungewissheiten aushalten und transformieren zu können sowie Offenheit, das Neue zu erkunden und zu testen. Noch stecken KI-Systeme für Coaching und Beratung in den Kinderschuhen, aber sie können schon sehr weit tragen. Je mehr Daten die KI beispielsweise von den Coachingsitzungen hat, desto besser kann sie analysieren und die Persönlichkeit der Klient:innen und ihre Stärken und Schwächen einschätzen. Aus diesen Inhalten werden – je nach Ihren Anforderungen – individuelle Methodenpläne, Impulsmails und Prozessschritte generiert, die der Zielerreichung des Coachings oder der Beratung dienen. [1]
Vorteile von KI erweitern
Die Vorteile von KI in Beratung und Coaching sind vielfältig und nehmen stetig zu:
- Durch KI können administrative Aufgaben automatisiert und somit Zeit gespart werden.
- KI ermöglicht die Erstellung skalierbarer, massgeschneiderter Beratungs- und Coaching-Pläne, die auf individuellen Bedürfnissen und Präferenzen basieren.
- Mittels Chatbots und digitaler Selbsthilfetools kann KI rund um die Uhr und ortsunabhängig Unterstützung bieten.
- Zudem kann KI grosse Mengen an Daten analysieren und Muster erkennen, die Berater:innen und Coaches helfen, tiefergehende Einblicke in das Verhalten und die Bedürfnisse ihrer Klient:innen zu gewinnen.
- KI bietet Berater:innen und Coaches durch Effizienzsteigerungen und personalisierte Beratungsmöglichkeiten einen zusätzlichen Nutzen sowie eine Steigerung des Mehrwerts.
- Für Klient:innen kann KI von Vorteil sein, da Coaching anonym und ohne menschlichen Coach möglich ist.
- Durch KI kann die Fortführung eines Coachingprozesses zwischen zwei Sitzungen intensiviert und sogar an neue Ziele angepasst werden.
- Durch KI kann Selbstcoaching auf unterschiedlichen Leveln optimiert werden. [2]
Nachteile verwandeln
Allerdings gibt es keine Vorteile, ohne dass es auch Nachteile gäbe. Diese dominieren die Debatten um die rasanten Entwicklungen, da sie ethische Bedenken zum Inhalt haben. Die Nachteile bergen jedoch durch ihr Veränderungspotenzial auch Wachstumschancen:
- Nicht jede:r Klient:in ist offen für den Einsatz von KI und wird diese möglicherweise sogar ablehnen. Die Akzeptanz ist eine Voraussetzung für den Einsatz von KI und kann in der Klient:innenbeziehung durch Vermittlung und Vertrauen aufgebaut werden.
- Den berechtigten Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Datensicherheit muss durch offene Kommunikation und Transparenz begegnet werden.
- Der Umgang mit sensiblen Daten erfordert Kenntnisse und Informationen über die angewendeten Tools. Berater:innen und Coaches müssen ein Grundverständnis von KI entwickeln und den Einsatz der KI-Tools für sich selbst klären, um diese den Klient:innen erklären zu können.
- Die KI-gestützten Tools müssen ethischen Standards entsprechen, um sicherzustellen, dass die Autonomie und das Wohl der Klient:innen gewahrt bleiben.
- Ein hoher Grad an Abhängigkeit von technologischen Lösungen kann dazu führen, dass menschliche Fähigkeiten wie Intuition und Kreativität vernachlässigt werden.
- Nicht zuletzt kann die Implementierung von KI-Lösungen kostspielig sein und technische Ressourcen sowie Fachwissen erfordern.
Tätigkeiten, die von KI übernommen werden können
KI-Tools können entlang eines Beratungs- und Coachingprozesses eingesetzt werden, einschliesslich der Vor- und Nachbereitung, Rechnungsstellung usw. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl von Tätigkeiten, die mithilfe von ChatGPT, anderen KI-Tools und KI-Plattformen erledigt werden können.
KI-Tools und Anwendungsprogramme
Es gibt viele KI-Tools, die im Coaching und in der Beratung eingesetzt werden können, und täglich kommen neue hinzu. Sie eröffnen Möglichkeiten für eine noch grössere Individualisierung und Skalierung der Arbeit. Weit verbreitet sind Chatbots, die als virtuelle Assistent:innen oder Begleiter:innen Aufträge erledigen und
mit den Klient:innen kommunizieren. Chatbots werden zur Wissensvermittlung, zur Exploration und zur Reflexion eingesetzt. In der Psychotherapie und psychologischen Beratung finden sie aufgrund der Erfolgsberichte zunehmend Akzeptanz, ebenso im Lifecoaching und im Führungskräfte-Coaching.
Ein Beispiel ist Amy von CoachHub. Die virtuelle Coachin Amy ermöglicht es, jederzeit und überall zu chatten. Auf diese Weise ist auch zwischen den Sitzungen eine persönliche Beratung und lösungsorientierte Konversation möglich. Amy kann personalisierte Coaching-Inhalte vorschlagen und überwacht den Fortschritt, um gegebenenfalls motivierende Erinnerungen zu senden oder Ziele anzupassen, wenn sich Herausforderungen verändern. [3]
Ein anderes Chatbot-Beispiel ist Alpina von evoach. Alpina ist eine KI-Coaching-Begleiterin in Form eines Lamas. Sie kann mit antrainiertem Coaching-Wissen und dem neuesten Sprachmodell ChatGPT 4o
in den Dialog gehen, wann immer es gewünscht wird. Das Unternehmen bietet auch die Möglichkeit, sich Chatbot-basierte Coaching-Module mit eigenen Coaching-Methoden erstellen zu lassen. Fallbeispiele reichen von angeleiteten Selbstcoaching-Programmen für Führungskräfte bis hin zum hybriden Kooperationsprogramm „Fit für die Zukunft“, das Training, Chatbot und 1:1 Coaching kombiniert. [4]
Der KI-gestützte virtuelle Coach Vici von CoachVici, entwickelt von dem Wissenschaftler und Unternehmer Nicky Terblanche, hilft bei der Zielfindung und erstellt benutzerdefinierte Trainings- und Entwicklungsprogramme. Durch das Verfolgen der Fortschritte können die Ziele neu angepasst werden. Eine Studie der Stellenbosch-Universität konnte belegen, dass Chatbots sehr gut für Zielerreichungsanlässe funktionieren, weniger aber für komplexere Coaching-Situationen. [5]
Ethische Überlegungen und das «Human-in-the-Loop»-Prinzip
Eine zentrale Rolle bei der Integration von KI in Beratung und Coaching spielen ethische Überlegungen. Transparente Kommunikation, Gleichbehandlung, das Selbstbestimmungsrecht der Klient:innen, Beteiligung und Mitsprache sowie klare Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten sind nur einige der Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Lebenslanges Lernen wird durch KI noch wichtiger und ist entscheidend, um ethische Bedenken anzusprechen, ethische Dilemmata zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
Ein ethisch wertvolles Konzept im maschinellen Lernen ist das des «Human-in-the-Loop» (HITL). In diesem Konzept wird der Mensch in den gesamten Trainings-, Test- und Optimierungsprozess eines Algorithmus sowie in den Entscheidungsprozess eingebunden. Der Mensch bleibt also die letzte Entscheidungsinstanz. Die dahinterliegende Idee der Komplementarität zwischen Mensch und KI dürfte Bedenken und Ängste lindern, da menschliche Expertise und ethische Überlegungen stets einbezogen werden. [6] Seit dem 1. August 2024 ist der EU AI Act zur Regulierung von KI in der Europäischen Union in Kraft getreten. Diese Gesetzgebung soll sicherstellen, dass KI-Systeme sicher und ethisch vertretbar sind. Die verschiedenen Bestimmungen werden schrittweise, allerdings erst über die nächsten Jahre, umgesetzt. [7]
Kompetenzaufbau und lebenslanges Lernen
Die Integration von KI in Arbeitsprozesse verändert Tätigkeiten sowie die Zusammenarbeit und das Miteinander. Daraus entstehen neue Anlässe für Beratung und Coaching. Die Geschwindigkeit, mit der KI entwickelt wird und Entscheidungen getroffen werden, sowie die zunehmende Komplexität erfordern stetiges Lernen, kritisches Urteilsvermögen und das Setzen von Prioritäten. Neu ist: Ursprünglich erlerntes Wissen wird an Bedeutung verlieren. [8] Dies betont die Notwendigkeit, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Der Umgang mit Ungewissheit, Teamorientierung und «Denken in Spielräumen statt Denken in Prozessen» [9] gewinnen an Bedeutung. Micro-Learnings und Micro-Coachings etablieren sich als dauerhafte Formate zur Kompetenzentwicklung.
Aussichten: Menschliche Expertise und technologische Innovation
Die Zukunft der Beratungs- und Coachingbranche liegt in der Verbindung von menschlicher Expertise und technologischer Innovation. Wenn wir die Vorteile von Künstlicher Intelligenz mit Empathie, Erfahrung und sowohl neuer als auch alter Fachkompetenz kombinieren, eröffnen sich faszinierende Perspektiven für eine effektive und zukunftsweisende Beratungspraxis. Lebenslanges Lernen wird zum Standard, Neugier zur neuen Währung. Und bei allem gilt: Sie bleiben die entscheidende Instanz.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Praxis Kommunikation. Angewandte Psychologie in Coaching, Training und Beratung. 5/2024. S. 64-67
[1] Pakleppa, C.-B. und Haas, O.: Zutiefst menschlich oder Wie die Beratung KI nutzen kann. In: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management. 3/2024, S. 69
[2] Börner, Nadine & Wallraff, Bernd: KI im Coaching. Wie Coaches Künstliche Intelligenz erfolgreich einbinden. In: Coaching-Magazin 4/2022: https://www.coaching-magazin.de/wissenschaft/kuenstliche-intelligenz-im-coaching
[3] https://www.coachhub.com/de/aimy/
[4] https://www.evoach.com/?lang=de
[5] https://www.coachvici.com/
[6] Hasenbein, Melanie: Mensch und KI in Organisationen. Einfluss und Umsetzung Künstlicher Intelligenz in wirtschaftspsychologischen Anwendungsfeldern. Springer, Berlin 2023, S. 27
[7] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_24_4123
[8] Stefan Barth: Es geht um das Warum und das Was. Handlungsprämissen für Führung in einer KI-geprägten Welt. In: OE, 3/2024, S. 21
[9] Stefan Barth, a.a.O., S. 23